Wie frisch sollte Kaffee sein?

Wie wichtig ist das Röstdatum von Kaffee?

Die Frage nach dem Röstdatum ist sowohl in unserer alltäglichen Arbeit in unserem Café am Viktualienmarkt als auch von Kunden, die Kaffee online bestellen, eine der häufigsten, die uns begegnen. Auf den ersten Blick logisch, machen Kaffeeröstereien auf aller Welt doch seit jeher Werbung mit frisch geröstetem Kaffee. Frisch ist besser. Ist ja klar. Muss ja so sein… oder?

Ist frisch gerösteter Kaffee besser?

Jein. Es machen eben nicht *alle* Röstereien Werbung mit möglichst frisch geröstetem Kaffee.

Auffälligerweise sprechen gerade die Röstereien, mit denen wir so arbeiten, immer wieder vom “Resting”, also dem bewussten “Ruhen” von frisch geröstetem Kaffee für einen gewissen Zeitraum, um das Ergebnis in der Tasse zu verbessern. Zu frisch gerösteter Kaffee ist also auch nicht gut. Aber warum? Und wie frisch geröstet sollte Kaffee sein? Und wie lange ist Kaffee haltbar?

Röstdatum und Emfehlung vom Röster
SEY empfiehlt, ihren Kaffee mindestes zwei Wochen ruhen zu lassen.

Wir haben unsere Erfahrungen mal zusammengeschrieben und ein paar der renommiertesten Kaffeeröster, die ihr so finden werdet, gefragt.

Soll man Kaffee ausgasen lassen?

Die dänische Kaffeerösterei La Cabra ist vmtl. einer der prominentesten und lautstärksten Vertreter der These, dass man geröstete Kaffeebohnen erstmal ruhen lassen sollte. In ihrem Blogbeitrag zu dem Thema schreiben sie:

"We have spoken for some time about the advantages of resting our coffees. Dense, high-grown coffees, especially when roasted lightly, have a very hard and tight inner structure. This means that the degassing process, during which gasses generated during the roasting process move out of the bean, is very slow compared to darker-roasted, or less dense coffees. […] We still recommend resting our coffees for at least 10 days, and maintain that we often find excellent results, especially for particularly dense coffees, beyond 6 weeks."

Dieser Text war vor einigen Jahren der erste fundierte, der uns zu dem Thema begegnet ist, und unsere wiederholte Beobachtung erklärt hat, dass sehr frisch gerösteter Kaffee v. a. nach “Kaffee”, aber nicht all den blumig-bunten Worten auf der Packung schmeckt, und bisweilen sehr schwer einzustellen ist.

Es hat also was mit der Zellstruktur der Kaffeebohne zu tun, die besonders bei hochgewachsenen, gesunden und sauber verarbeiteten Kaffees, sehr dicht ist, und durch eine weniger kräftige Röstung auch nicht so sehr aufgebrochen wird, wie das bei dunkleren Röstungen der Fall wäre.

La Cabra spricht hier von “degassing”, also dem “Ausgasen” von Kaffee: Die Röstgase entweichen, und damit dieser bittere, generische “Kaffeegeschmack”. Das ist aber noch nicht alles.

Das Zellmaterial wird poröser

In einigen E-Mails mit Scott Rao, einem erfahrenen Kaffeeröster, Buchautor und schlichtweg etabliertesten Vertreter der Specialty-Coffee-Welt schlechthin, haben wir vor einiger Zeit gelernt, dass beim Resting neben dem Entweichen der Röstgase noch ein weiterer, vielleicht sogar noch wichtigerer Prozess stattfindet:

"The cellulose will weaken over those weeks, effectively increasing development."

Es entweicht also nicht nur das Röstgas, sondern das Zellmaterial der Kaffeebohne selbst wird brüchiger, beinahe als wäre der Kaffee weiter entwickelt (dunkler geröstet) worden, aber eben ohne den ungewollten, bitteren Beigeschmack einer dunkleren Röstung.

Und warum ist das gut?

Das Zellmaterial von Röstkaffee wird mit der Zeit weicher.

Frisch gerösteter Kaffee ist schwierig zu brühen

Wenn der Kaffee zu frisch ist, schieben einerseits die entweichenden Röstgase das Wasser weg vom Kaffee, andererseits ist das harte Zellmaterial bei hellen Röstungen schwierig zu durchdringen.

Erst wenn es etwas poröser wird, kann das Wasser richtig rein. Ben Morrow, mehrfacher Meister in verschiedensten nationalen und internationalen Kaffee-Wettbewerben und Gründer von und Röster bei Manhattan Coffee Roasters, hat uns geschrieben:

"2-3 days is likely too soon from roast for any coffee. Any time past that is going to be an improvement in flavour because water will more easily penetrate the ground medium. That said, it’s all somewhat dependent on how the coffee was roasted and to what degree. For us, 2-3 weeks is generally optimum.”

Hier wird klar: Die gleiche Empfehlung wird nicht für alle Kaffees und alle Röstungen gelten. Irgendwann setzen natürlich auch Alterungsprozesse ein, und der Kaffee verliert etwas.

Frisch gerösteter Kaffee kann für das Wasser schwer zu durchdringen sein.
Frisch gerösteter Kaffee kann für das Wasser schwer zu durchdringen sein.

Fassen wir also zusammen: Es gibt ein ideales Fenster, in dem ein Kaffee einerseits ausreichend ausgegast hat und porös ist, und andererseits noch möglichst viele seiner Aromen enthält – und dieses Fenster kann sich je nach Kaffee und Röstgrad unterscheiden.

Unsere generelle Empfehlung für optimale Trinkreife nach dem Röstdatum

Wir arbeiten seit nunmehr drei Jahren mit jährlich über 150 Kaffees von über 20 Röstern und verfügen daher über den Luxus recht fundierter eigener Erfahrung. 😉

Als Faustregel geben wir zunächst mal ein recht großes Fenster an: Jeder Kaffee wird zwei Wochen nach Röstung besser schmecken als “röstfrisch”. Und mindestens acht Wochen sollte jeder Kaffee überleben, der angemessen verpackt und aufbewahrt wurde (im Ventilbeutel, UV-dicht oder in einem dunklen Schrank). Also:

Unsere allgemeine Empfehlung:

Wenn wir nichts anders wissen, empfehlen wir, hell gerösteten Kaffee in einem Zeitfenster von 2-8 Wochen nach Röstung zu verbrauchen.

In einem geschlossenen und blickdichten Ventilbeutel halten sich Kaffeebohnen recht lange.
In einem geschlossenen und blickdichten Ventilbeutel halten sich Kaffeebohnen recht lange.

Wenn eure Aufmerksamkeit so langsam schwindet, ist das eigentlich alles, was ihr euch merken müsst.

Ans Feintuning: Welche Kaffees sollten frischer sein oder länger ruhen?

Aber es gibt ein paar Faktoren, mit denen wir den wirklichen sweet spot (🥁) eines Kaffees innerhalb dieses Fensters präziser bestimmen können, wenn ihr ihn unbedingt von seiner besten Seite erwischen wollt.

Faktoren, die für eine längere Ruhezeit von frisch geröstetem Kaffee sprechen

  • Besonders helle Röstung
  • Besonders hohe Anbauhöhe (1.800 hm und darüber, also insb. Kaffees z. B. aus Äthiopien, Kenia, Kolumbien, Bolivien…)
  • Besonders kleine Bohnen
  • Gewaschene Kaffees
  • Konvektions-Röstungen (z. B. Loring)

All diese Faktoren bedingen dichteres, intakteres Zellmaterial, das erst mit längerer Ruhezeit einfacher zu extrahieren wird und damit süßeren, klareren Kaffee in der Tasse ergibt.

Die Beschaffenheit der Bohne, von Röstgrad über Anbauhöhe, bis hin zu Dichte und Größe können das ideale Zeitfenster verschieben.
Die Beschaffenheit der Bohne, von Röstgrad über Anbauhöhe, bis hin zu Dichte und Größe können das ideale Zeitfenster verschieben.

Früher trinken solltet ihr dementsprechend Kaffees, die mehrere der folgenden Faktoren aufweisen

  • Mittlere bis dunklere Röstung
  • Niedrige Anbauhöhen (1.200 hm und darunter, also insb. Kaffees aus Brasilien, Indonesien…)
  • Besonders große Bohnen (z. B. Pacamara)
  • Naturals und insb. experimentiell aufbereitete, z. B. anaerob fermentierte Kaffees, da hier das Zellmaterial bereits deutlich mehr hinter sich hat
  • Trommel-Röstungen (z. B. Probat)

Diese Faktoren sprechen für brüchigeres Zellmaterial, das schneller ausgast und früher löslich ist – damit aber auch schneller an Aroma verliert.

Beispiele

Damit können wir ganz vernünftige Annahmen für bestimmte Kaffees machen:

+ SEY röstet sehr hell.

+ Der Kaffee ist auf 2.200hm in Äthiopien gewachsen.

+ Die Bohnen sind sehr klein und hart.

+ Der Kaffee ist gewaschen.

+ SEY röstet auf einem Loring.

Hier sprechen alle Faktoren für ein recht spätes Peak dieses Kaffees. Es hat sich für uns dieses Jahr erneut bestätigt, dass dieser Kaffee erst 6-8 Wochen nach Röstung sein wirkliches Potenzial entfaltet.

+ Manhattan röstet ziemlich hell.

– Der Kaffee ist auf nur 700hm gewachsen.

– Die Bohnen sind recht groß und fühlen sich leicht an, sie klingen auch recht holzig.

– Der Kaffee ist ein anaerobic honey.

– Manhattan röstet auf einem Probat.

Auch wenn Manhattan ziemlich hell röstet, wissen wir, dass sie großen Wert auf ausreichende Entwicklung legen. Hier sprechen beinahe alle Faktoren für eine recht frühe Trinkreife. Der Kaffee dürfte sicherlich nach zwei Wochen optimal schmecken, sauber aufbewahrt aber auch gut und gerne 1-2 Wochen länger liegen, bevor er beginnt, etwas zu verlieren. Während der SEY sein Peak bei 6-8 Wochen hat, dürfte der Manhattan nach 6 Wochen bereits einiges verloren haben. Hier setzen wir 3-5 Wochen an.

– morgon röstet allgemein zwar sehr hell, die Espressoröstungen sind jedoch durchaus gut entwickelt.

+ Der Kaffee ist auf 1.650hm gewachsen; hoch, aber nicht super-hoch.

– Die Bohnen, ein Catuaí, sind normalgroß bis groß.

+ Der Kaffee ist ein recht cleaner honey.

+ morgon röstet auf einem Loring.

Das dritte Beispiel zeigt: Ganz so einfach ist es dann oft leider doch nicht… nicht jeder Kaffee ist ein Extrembeispiel und gerade in diesen Grauzonen finden wir Kaffees, die uns auch in der Tasse überraschen können.

Während ihr euch beim Äthiopien und beim Brasilien womöglich schon recht präzise vorstellen konntet, wie die wohl schmecken dürften, wird’s bei diesem Costa Rica ein wenig komplexer. Wir hatten ihn kürzlich 3 Wochen nach Röstung in der Mühle, und er war ausgezeichnet. Leider hat das weitere Experiment dann nur ein paar Tage gedauert. 😅

Zusammenfassung

Wir hoffen, dieser Beitrag konnte euch ein wenig Perspektive geben. Natürlich ist das Röstdatum wichtig und natürlich solltet ihr niemals Kaffee kaufen, auf dem kein Röstdatum steht. Aber wir bekommen regelmäßig Feedback von Kunden, die einen Kaffee bei uns kaufen, und nach einigen Wochen wieder kommen und uns erzählen: „Anfangs war ich gar nicht so begeistert und hab ihn erstmal liegen gelassen, aber heute morgen hab ich ihn nochmal probiert. Wow.“

Es lohnt sich in der Regel also, hell gerösteten Kaffees, wie wir sie führen, etwas Zeit zu geben.

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